Zentralantiquariat der DDR

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Das Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik (ZA) war ein Handelsunternehmen der DDR mit dem Auftrag, wissenschaftliche antiquarische Literatur zu sammeln, zu bearbeiten und zu verkaufen. Gegründet 1959 in Leipzig als Nachfolger der Abteilung Antiquariat der Deutschen Buch-Export und -Import GmbH blieb es bis zu seiner Übernahme durch die Treuhandgesellschaft 1990 und der anschließenden Privatisierung 1991 die zentrale antiquarische Buchhandlung der DDR.

Geschichte

Antiquariatskataloge des ZA aus den 1980er Jahren

Hervorgegangen aus der Abteilung Antiquariat der bereits 1953 gegründeten Deutschen Buch-Export und -Import GmbH nimmt das Zentralantiquariat der DDR (ZA) von Anbeginn seine Tätigkeit sowohl innerhalb der DDR als auch über deren Grenzen hinaus wahr. Seinen Gründungsauftrag, „Sammlung, Bearbeitung und Verkauf antiquarischer wissenschaftlicher Literatur“[1], realisiert es einerseits über Ladengeschäfte in Leipzig, andererseits über einen umfänglichen Versandbuchhandel. So entstehen im Laufe der Jahre in der Leipziger Innenstadt ein Antiquariat für Geisteswissenschaften sowie für Naturwissenschaften, ein bibliophiles Antiquariat, eine Graphikgalerie und ein Musikantiquariat. Ab 1975 veranstaltet das ZA Buch- und Grafikauktionen, zunächst in Leipzig selbst, ab 1977 in Berlin, u.a. im Kinosaal des damaligen Museums für Deutsche Geschichte sowie im Theater im Palast der Republik (TiP). Zu seinen Verkaufs- und Versandangeboten sowie im Vorfeld der Auktionen veröffentlicht und versendet das ZA im Laufe der drei Jahrzehnte seiner Existenz an die 2.000 Angebotslisten, ca. 200 Kataloge sowie mehrere, teils auch illustrierte Auktionskataloge.

Zunächst dem Ministerium für Innerdeutschen und Außenhandel unterstellt und hier der Abteilung Leichtindustrie zugeordnet, ändert sich diese Zuordnung in den frühen 1960er-Jahren. Ab 1963 untersteht das Zentralantiquariat (ZA) der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur (MfK) der DDR. Zugleich ist es dem Nachfolger der Deutschen Buch-Export und –Import, dem Außenhandelsbetrieb (AHB) Buchexport, ab 1971 Diener zweier Herren, neben dem MfK bis 1990 auch dem Außenhandelsministerium der DDR verpflichtet.

Handelstätigkeit

Anordnungen über den Antiquariatsbuchhandel der DDR[2] regeln 1960 und 1970 ein Vorkaufsrecht einiger weniger Bibliotheken, denen vor Beginn des Verkaufs die Angebotslisten und Kataloge zuzusenden sind. 1960 profitieren von diesem Vorkaufsrecht die Deutsche Staatsbibliothek in Ostberlin, die Deutsche Bücherei in Leipzig und die Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, ebenfalls in Ostberlin. 1970 wird dieser Kreis um die Militärbibliothek der DDR in Dresden erweitert.

Neben dem Verkauf an Bibliotheken der DDR und dem Ladenverkauf in Leipzig hat das Zentralantiquariat spätestens ab 1963 Exportauflagen zu erfüllen, die insbesondere der Devisengewinnung dienen sollen.[3] Als Exporteur von Bestellungen aus dem – nach damaligen Sprachgebrauch – Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) fungiert zunächst der AHB Deutsche Buch-Export und –Import GmbH. Bereits Mitte der 1950er Jahre etablieren sich dann Vertragspartner, insbesondere die Helios-Buchhandlung und Antiquariat GmbH in Westberlin und ab 1970 die Heidelberger Humanitas Literatur-Vertriebs-GmbH.[4] In den 1980er Jahren übernimmt die Kunst & Wissen Erich Bieber GmbH die Auslieferung von Lieferungen in das „kapitalistische“ Ausland jenseits von BRD, Westberlin und Österreich.

Das ZA nimmt an Buchmessen, u.a. an der Stuttgarter Buchmesse teil, baut Handelsbeziehungen zu verschiedenen Antiquariaten insbesondere in der Bundesrepublik, aber auch in Schweden, den Niederlanden, der Schweiz, England und sogar in Japan auf. Dabei umfasst der Handel neben Alten Drucken, Handschriften, Grafiken, Landkarten und Zeitschriften auch Bucherzeugnisse aus dem 1964 als Abteilung des ZA gegründeten Reprintverlag. Daneben vertreibt das ZA auch zeitgenössische Drucksachen der DDR-Verlage, sowohl ins In- als auch Ausland. Das ZA gibt um die 200 Kataloge und 2000 Angebotslisten heraus.

Buchquellen

Antiquariatskataloge des ZA aus den 1970er Jahren

Das ZA übernimmt bei seiner Gründung Bestände namhafter, von der DDR enteigneter Antiquariate, die zuvor schon zum Handelsbestand der Abteilung Antiquariat der Deutschen Buch-Export und -Import GmbH gehörten. Hierzu zählte das K.F. Koehlers Antiquarium in Leipzig (als Teil der enteigneten Firma Koehler & Volckmar AG & Co), das Antiquariat Karl W. Hiersemann und das Antiquariat Otto Harrassowitz, ebenfalls in Leipzig.[5] Mehr als 3 Millionen Exemplare, Buchbestände ebenso wie Zeitungen, übernahm das ZA darüber hinaus zwischen 1959 und 1989/90 von der bereits 1953 in Gotha gegründeten, seit 1959 in Berlin angesiedelten Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA).[6] Außerdem gehen ihr Bücher aus dem Rücklass sogenannter Republikflüchtlinge zu. In der „Anordnung über die Regelung des Antiquariatsbuchhandels“ aus dem Jahr 1960 hatte man vorgeschrieben, dass „Gegenstände des Antiquariatsbuchhandels aus Nachlässen und staatlich verwaltetem privaten Eigentum bzw. sichergestellten Vermögen“, mit anderen Worten eben diese Rücklässe, an das nächstgelegene Bezirksantiquariat oder das Zentralantiquariat abzugeben seien.[7]

Daneben bemühte sich das ZA kontinuierlich um insbesondere exportfähige Bestände aus öffentlichen Institutionen – Bibliotheken, Archiven, Museen, Schulen – sowie von privater Hand. Das ZA annoncierte in Tageszeitungen, legte ihren Angeboten und Katalogen nicht nur Verkaufs- sondern auch Ankaufsinformationen bei, übernahm Bücher von den Bezirksantiquariaten. Im Vergleich zu den Übernahmen von der ZwA fielen die Ankäufe von Privat allerdings deutlich geringer aus. Sie beliefen sich nach zeitgenössischer Darstellung auf ca. 30.000 Bände,[8] was in der Gesamtheit der Jahre geschätzt 900.000 Bände ergeben würde, weniger als ein Drittel der Übernahmen von der ZwA.

Provenienzen

Da das ZA mehrheitlich mit vor 1945 erschienener Literatur handelte, befand sich darunter nachweislich sowohl NS-Raubgut als auch Buchgut, welches im Zuge insbesondere der Bodenreform ihren Besitzer gewechselt hatte. Belegt sind bisher Übernahmen französischer Widmungsexemplare, die ihren Eigentümern aus politischen bzw. rassistischen Gründen nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Frankreich genommen worden waren.[9] Überliefert sind Beispiele des Handels mit einzelnen Gewerkschaftsprovenienzen sowie mit jüdischen Provenienzen. Belegt ist ebenso die Übernahme von Büchern aus dem Rücklass von Martin Helmer.

Unter den Büchern, die durch die Deutsche Staatsbibliothek und das Deutsche Buch- und Schriftmuseum vom Zentralantiquariat erworben wurden, finden sich zahlreiche bekannte Provenienzen. Dazu zählen Universitäten und Hochschulen mit ihren Instituten, zudem Schulbibliotheken, Adels- und Schlossbibliotheken sowie zahlreiche Provenienzmerkmale von privaten und öffentlichen Personen. Zeitlich und geographisch sind die Provenienzen überwiegend im Deutschen Reich, einschließlich der annektierten Gebiete, und in der ehemaligen DDR anzusiedeln.

Provenienzmerkmale

Als Handelsunternehmen kennzeichnete das ZA – anders als Bibliotheken oder auch private Büchersammler – seine zum Verkauf vorgesehenen Bücher und Zeitschriften weder mit einem eigenen Stempel noch mit Inventarnummern. Überliefert sind im Gegenteil sogar Tilgungen vorhandener, fremder Provenienzmerkmale. Allerdings befinden sich insbesondere in Büchern, die die Deutsche Staatsbibliothek vom ZA erwarb, spezifische Bleistiftnummern. In der Regel auf dem Vorsatzblatt, manchmal auch auf dem Buchdeckel angebracht, wiederholen sich diese Nummern. Sie lassen sich als Jahreszahl sowie Standort-, möglicherweise auch Herkunftsinformation interpretieren. Neben diesen Nummern enthalten einzelne Bände typisch antiquarische Informationen wie „Erstausgabe“ oder auch Preisangaben. Unter den überprüften Exemplaren in der SBB konnten drei Bände mit einem Stempel der Handbibliothek des ZA ermittelt werden.

Ziffernfolgen

Stempel

Über das ZA erworbener Titel der DSB mit Antk-Katalogkarte, Katalognummer und Preisangabe

Ermittelte Exemplare

Das Projekt

Im Spätherbst 2022 startete an der Staatsbibliothek zu Berlin das Kooperationsprojekt mit der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, „Das Zentralantiquariat der DDR: Verkaufswege. Empfänger. Provenienzen“. Im Rahmen des Projektes wurden 150 Kataloge und 1610 Angebote des ZA digitalisiert, die im DBSM überliefert sind. Zudem wurde eine Desideratenliste erarbeitet. Bis April 2024 wurden insgesamt ca. 4700 antiquarische Erwerbungen überprüft, von denen jeweils 2000 Bände durch die DSB und durch das DBSM vom ZA erworben wurden. Zusätzlich erfolgte die Überprüfung von 700 Bänden von antiquarischen Erwerbungen der damaligen Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (West-Berlin).

Quellen

Sächsisches Staatsarchiv (Leipzig)

  • 20998 Deutsche Buch-Export und –Import GmbH Leipzig
  • 21113 Zentrale Leitung des Volksbuchhandels der DDR
  • 21766 Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (II), 1945–1990

Bundesarchiv (Berlin Lichterfelde)

  • B 412 / 170470 Beteiligungsdokumentation.- Zentralantiquariat Leipzig GmbH im Aufbau, Leipzig
  • DR 1/6634 bis DR 1/6638 Geschäftsberichte des Zentralantiquariats der DDR in Leipzig für die Jahre 1984-1988

DSB Akten

  • Siehe Einträge zum ZA in: Tiefenerschließung des Aktenbestandes "Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände" in der Staatsbibliothek zu Berlin: Datei:SBB-PK Akten DSB ZwA.pdf

Literatur

  • Diag, Sarah: Firmengeschichten Leipziger Antiquariat nach 1945 (III). In: Aus dem Antiquariat NF 11 (2013) Nr. 6, 277-285.
  • Dehnel, Regine: Übernommen – Weiterverteilt – Zerstreut. Die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände und NS-Raubgut nach 1945. Frankfurt am Main: Klostermann 2024 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie; 126).
  • Scheibe, Michaela; Dehnel, Regine; Schultz, Iris: Das Zentralantiquariat der DDR. Interview zu einem Forschungsvorhaben, geführt von Björn Biester. In: Aus dem Antiquariat NF 21 (2023) 3, S. 128–131.
  • Schultz, Iris: Das Zentralantiquariat der DDR und der Handel mit NS-Raubgut, in: DigiOst, Veröffentlichung geplant für 2024.
  • Schultz, Iris: Nicht selten führen lesbare Spuren ins Leere. Das Zentralantiquariat der DDR und der Handel mit NS-Raubgut, in: Politik & Kultur 12/2023-1/2024
  • Schroeder, Werner: Internationalisierte Kulturgutverwertung. Die Beschaffungs- und Einkaufspolitik des Zentralantiquariats der DDR, in: Spuren suchen. Provenienzforschung in Weimar, hrsg. v. Franziska Bomski u.a., Göttingen 2018, S. 245–265.
  • Karla, Heidi: Der Handel mit antiquarischen Büchern aus der DDR in der BRD. In: Lehmstedt, Mark; Lokatis, Siegfried (Hg.): Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Wiesbaden: Harrassowitz 1997 (Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens. Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte; 10), S. 109–121.
  • Ökonomik des Buchhandels, von einem Autorenkollektiv, Leipzig 1962.

Weblinks

GND-Normdaten

Einzelnachweise

  1. Ökonomik des Buchhandels, von einem Autorenkollektiv, Leipzig 1962, S. 142.
  2. Anordnung über die Regelung des Antiquariatsbuchhandels vom 20. Juli 1960. In: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik I, 1960, Nr. 44, 442-443; Anordnung über den Antiquariatsbuchhandel in der Deutschen Demokratischen Republik vom 8. April 1970. In: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik II, 1970, Nr. 37, 277–278.
  3. Sächsisches Staatsarchiv, 21766 Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (II), 1945–1990, 0038 Sitzungsprotokolle: Beschlussprotokoll der Sitzung des erweiterten Antiquariatsausschusses in Leipzig vom 31.5.1963.
  4. Sächsisches Staatsarchiv, 20998 Deutsche Buch-Export und Import -GmbH, 270 Verträge und Vertragsangelegenheiten.
  5. Schroeder: Die Beschaffungs- und Einkaufspolitik des Zentralantiquariats der DDR, S. 245–250.
  6. Vgl. Karla: Der Handel mit antiquarischen Büchern aus der DDR in der BRD, S. 118.
  7. Vgl. Schroeder, S. 258ff.
  8. Ebda., S. 263; Marianne H.-Stars: „Wenn Bücher auf Reise ins Antiquariat gehen“, in: Freies Wort, Erfurt; 9./10.02.1979; in SStA 21113, 223.
  9. Vgl. Dehnel: Übernommen – Weiterverteilt – Zerstreut, S. 286-287.