Esperanto-Institut für das Deutsche Reich (Leipzig)

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Das Esperanto-Institut für das Deutsche Reich galt Anfang des 20. Jahrhunderts als Hauptinstitution der Esperanto-Bewegung im Deutschen Reich und ging aus dem Sächsischen Esperanto-Institut hervor. Der Direktor des nach dem Ersten Weltkrieg umbenannten Instituts war Johannes Dietterle.

Geschichte des Instituts

Die Entstehung des Esperanto geht auf Ludwig Lazar Zamenhof (1859–1917) zurück und begann im russischen Reich, wo Zamenhof 1887 erstmals seine Idee zu einer internationalen, neutralen Sprache veröffentlichte. Die Entwicklung des Esperanto zu einer gemeinsamen Weltsprache sah Zamenhof als einen Beitrag zu einer Versöhnung und Einigung der Menschheit. Noch vor der Jahrhundertwende breitete sich die Bewegung aus und fand auch in westeuropäischen Ländern – insbesondere in Frankreich – Anhänger.

In Deutschland verbreitete sich die Esperanto-Bewegung besonders Anfang des 20. Jahrhunderts. Die wenigen Ortsgruppen erhielten 1906 einen gemeinsamen nationalen Dachverband, der sich ab 1909 Deutscher Esperanto Bund (DEB) nannte. Ein institutioneller Rahmen für die Esperanto-Bewegung wurde in Sachsen geschaffen, als 1908 in Dresden das Sächsische Esperanto-Institut, dem auch eine Bibliothek angegliedert war, unter Initiative von Albert Schramm gegründet wurde. Das Institut war dem Königlich-Sächsischen Staatsministerium des Innern unterstellt. Der Institutleiter – zunächst Albert Schramm – und das Lehrerkollegium mussten vom Ministerium bestätigt werden und zeigten sich gegenüber einem Direktorium verantwortlich. Seit 1911 erhielt das Institut außerdem wiederholt staatliche Zuschüsse, um die sich besonders der Industrielle Albert Steche (1862-1943) als Abgeordneter im Sächsischen Landtag bemühte und sich in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 selbst als finanzieller Förderer des Instituts hervortat.

Zu den Aufgaben des Sächsischen Esperanto-Instituts zählten zunächst die Gewährleistung von Unterricht und Prüfungen, die Herausgabe von Lehrmitteln und die Anfertigung von Übersetzungen. Diese Aufgaben begannen sich in den folgenden Jahren auszuweiten. Das Institut sollte über die Esperanto-Organisation und über die Sprache informieren, sowie zu einer weltweiten Verbreitung des Esperanto beitragen. So trug Schramm durch Vorträge und Artikel in Tages- und Fachzeitschriften zu einer zunehmenden Bekanntheit des Esperanto bei. Als Schramm im Jahr 1913 die Stelle als Direktor des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig annahm, wurde auch der Sitz des Instituts und der Bibliothek nach Leipzig verlegt. Im Jahr 1916 übernahm Johannes Dietterle (1866–1942) die Nachfolge Schramms und leitete das Institut bis 1932. Da sich das Institut zur zentralen Einrichtung der Esperanto-Bewegung in Deutschland – vor allem auch für wissenschaftliche und statistische Aufgaben – entwickelte hatte, kam es 1918 zur Umbenennung des Instituts in „Esperanto-Institut für das Deutsche Reich“. Das nun umbenannte Institut wurde dem Reichsministerium des Innern unterstellt.

Mit der zunehmenden Ausbreitung der Sprache regte sich aber auch Widerstand und Misstrauen gegen das Esperanto, das mitunter mit emanzipatorischen oder revolutionären Ambitionen verbunden wurde. Das hing auch damit zusammen, dass sich zusätzlich – und besonders nach dem ersten Weltkrieg – ideologisch geprägte Esperanto-Gruppen wie zum Beispiel Arbeiter-Esperanto Vereinigungen gründeten. Die Ablehnung der Sprache ist deshalb besonders auf politisch-ideologische Gründe zurückzuführen, sah man im Esperanto einen Wegbereiter des Internationalismus und Sozialismus und eine Gefahr für die eigene Sprache und Kultur. [1]

NS-Zeit

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 spitzte sich die Ablehnung gegenüber der Esperanto-Bewegung zu. Nach dem Reichtagsbrand am 27. Februar 1933 wurden zunächst die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, um politische Gegner wie Gewerkschaften und Arbeiterparteien zu verfolgen. Auch Esperanto-Vereinigungen gerieten dabei unter Verdacht; es kam zur Zerschlagung des Arbeiter-Esperanto-Bundes und der Sozialistische Esperanto-Bund löste sich daraufhin selbst auf. Esperanto wurde in diesem Zuge von der Gestapo als „Geheimsprache der Kommunisten“[2] eingestuft. Der DEB unterwarf sich deshalb 1933 zunächst der Gleichschaltung.

Im Esperanto-Institut für das Deutsche Reich kam es unterdessen zu personellen Veränderungen. Ende März 1933 übernahm Albert Steche, Vorsitzender des Ortsverbandes Leipziger Esperanto-Gruppen, die kommissarische Leitung des Instituts. Ein Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17. Mai 1935 führte jedoch dazu, dass die bisherigen finanziellen Zuschüsse für die künstlich geschaffene Welthilfssprache ausblieben, denn er legte fest, dass „von jeder Förderung eines Unterrichts in solchen Sprachen abzusehen“ sei, „Unterrichtsräume sind für diesen Zweck nicht zur Verfügung zu stellen.“[3] Es folgte am 20. Juni 1936 ein Erlass des Reichsführers SS Heinrich Himmler, dem zu diesem Zeitpunkt auch schon die Reichspolizei unterstand, mit der Anweisung – insbesondere an den DEB – sich selbst aufzulösen. Jeglicher Einsatz für eine Kunstsprachenvereinigung war somit unmöglich geworden und das Esperanto-Institut für das Deutsche Reich musste kurze Zeit später seine Tätigkeit einstellen.

Zu der erneuten Gründung eines Esperanto-Instituts in Deutschland kam es erst im Jahr 1948 in München mit Billigung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus.[4] In der DDR hingegen wurde erst 1961 das Verbot aufgehoben, aber auch dann unterstanden die Esperantisten weiterhin der Überwachung.

Bibliothek

Die erste offizielle Esperanto-Bibliothek entstand im Deutschen Reich im Zuge der Gründung des Sächsischen Esperanto-Instituts in Dresden als Königlich-Sächsische Esperanto-Bücherei, um das Institut in seinen Aufgaben mit Quellenmaterialien und wissenschaftlichen Arbeiten in und über Esperanto zu unterstützen. 1918 umfasste der Bestand der Bibliothek etwa 1.200 Titel und nahm kontinuierlich zu.[5] Da die finanziellen Mittel der Bibliothek kaum ausreichten, um neu erscheinende Literatur als auch ältere Literatur in und über Esperanto umfassend anzuschaffen, war die Bibliothek auf Schenkungen und Zuwendungen angewiesen. So weist das Verzeichnis der Königlich-Sächsischen Esperanto-Bücherei auf Geschenke für die Bibliothek seitens der Esperanto-Gesellschaft (Berlin) im Laufe des Jahres 1918 hin. Auch Bücher des Ortsverband der Leipziger Esperantogruppen sind in den Besitz der Bibliothek übergegangen.[6]

Da sich das Esperanto-Institut für das Deutsche Reich 1936 auflöste und da Geldmittel und staatliche Unterstützung fehlten, konnte die Miete für die Bibliotheksräume nicht mehr aufgebracht werden. Um einer Makulierung des Bestandes zuvorzukommen, bot Albert Steche die Sammlung zunächst der Deutschen Bücherei in Leipzig an. Nach deren Ablehnung erklärte sich die Preußische Staatsbibliothek in Berlin bereit, die Bibliothek zu übernehmen. Im Jahresbericht der Preußischen Staatsbibliothek heißt es dazu: „Das frühere Esperanto-Institut für das Deutsche Reich in Leipzig überwies seine Sammlung an Literatur in der Welthilfsprache und über sie im Umfang von reichlich 2000 Bänden. Diese Zuwendung konnte innerhalb der Erwerbungsabteilung bereits bis auf einen kleinen Rest bearbeitet werden.“[7] Die Esperanto-Bibliothek wurde geschlossen als Sondersammlung eingearbeitet; nur einige Titel wurden von der Erwerbungsabteilung an die Orientalische Abteilung der Preußischen Staatsbibliothek weitergeleitet. [8] Die Bände der Bibliothek des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich wurden von der Preußischen Staatsbibliothek mit einer Akzessionsnummer (eine laufende Nummer in Verbindung mit dem Erwerbsjahr) versehen und als Donum oder Pflichtexemplar in den Akzessionsjournalen Dona deutsch, Dona ausländisch und Pflichtlieferungen inventarisiert. Der Vorbesitz des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich lässt sich über diese meistens auf der Rückseite des Titelblattes notierten Akzessionsnummern nachvollziehen. Die Zugangsnummern der bei der Preußischen Staatsbibliothek eingegangenen Bände verteilten sich – soweit noch nachvollziehbar – wie folgt:

  • Dona: D 1936. 2401-2666, D 1937.881-971
  • Dona Ausländisch: D 1936.4401-5099, D 1937.3521-4300
  • Pflicht: P 1936.8801-8965

Esperanto-Sammlung der SBB

Nach 1945 ging die Bibliothek in den Bestand der Deutschen Staatsbibliothek (Ost) über. Da die Schenkung der Esperanto-Bibliothek an die Preußische Staatsbibliothek aufgrund der Staatsnähe und staatlichen finanziellen Förderung des Esperanto-Instituts und seiner Bibliothek nicht als Raubgut eingestuft werden kann, ist eine Restitution nicht indiziert, sodass die Bibliothek des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich heute als Teil der Esperanto-Sammlung in der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz der Forschung zur Verfügung steht.

Die Esperanto-Sammlung setzt sich heute aus Zeitschriften, Sammelbänden, Kongressberichten, Monographien sowie Akten von Esperanto-Vereinigungen zusammen. Thematisch kreist die Sammlung um Interlinguistik und künstlich geschaffene Sprachen (z.B. auch Volapük). Sie enthält auch Unterrichtsmaterialien wie Wörterbücher, Grammatiken und Lehrbücher. Zu den ältesten Werken gehören die Schriften des Ideengebers Ludwig Lazar Zamenhof. Darüber hinaus findet sich auch Belletristik in Esperanto sowie Übersetzungen von Klassikern der Weltliteratur. Des Weiteren werden viele Wissenschaftsgebiete abgedeckt wie Naturwissenschaften, Technik, Medizin, Wirtschaft, Geschichte, Politik, Philologie, Theologie, Philosophie, Musik oder Kunst.

Vorprovenienzen

Bedeutende Vorprovenienzen in den Bänden aus der Bibliothek des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich sind vor dem Hintergrund der institutionellen und personellen Veränderungen:

Provenienzmerkmale

Stempel des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich

Stempel des Sächsisches Esperanto-Instituts (Leipzig), Königlich-Sächsische Esperanto-Bücherei

Signaturensystem und Systematik

In der Königlich-Sächsischen Esperanto-Bücherei bzw. in der Bibliothek des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich wurden Signaturen handschriftlich und meistens neben dem Stempel der Bibliothek in den Büchern eingetragen. Eine Übersicht über die Systematik liefert das „Verzeichnis der Königl. Sächs. Esperanto-Bücherei“ aus dem Jahr 1918, in dem zu jedem bis dahin vorhandenen Titel eine Signatur angegeben ist. Die Signaturen bestehen demnach aus drei Elementen:

  • eine Kombination aus einem Großbuchstaben und einem kleinen Buchstaben als Kennzeichen einer Sachgruppe, z.B. A.a. oder B.d.; zu Beginn war den Signaturen offenbar noch eine dritter Buchstabe – W. – vorangesetzt, der in manchen Fällen später gestrichen wurde
  • eine laufende Nummer innerhalb der Sachgruppe
  • Ggf. eine römische Zahl am Ende der Signatur bei mehreren vorhandenen Exemplaren einer Ausgabe

Die Systematik der Sachgruppen von 1918 umfasste in etwa folgende große Themen:

A. Unterrichtmaterialien
B. Literatur (darunter originalsprachige und übersetzte Literatur, Belletristik und Wissenschaft)
C. Musik
D. Institutionelle Schriften ( Berichte, Satzungen, Jahrbücher, Geschichte etc.)
E. Esperanto-Bewegung
F. Zeitschriften
G. Reiseführer u.a.
H. Volapük
I. Andere Weltsprachen-Systeme
K. Praxis und Alltag

Ermittelte Exemplare

Die Sammlung der Bibliothek des Esperanto-Instituts für das Deutsche Reich ist heute in die Sondersammlung der Staatsbibliothek zu Berlin mit der Signatur 17ZZ … eingegliedert. Durch zusätzliche Erwerbungen nach 1945 ist die Esperanto-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin bisher auf ca. 2800 Drucke angewachsen.

Suche nach Exemplaren der Esperanto-Sammlung im OPAC der Staatsbibliothek zu Berlin:

Literatur

  • Deutsches Esperanto-Institut. Aufbau, Entwicklung, Leistungen, hrsg. von Deutsches Esperanto-Institut, Augsburg 1977.
  • Ulrich Lins, Die gefährliche Sprache. Die Verfolgung der Esperantisten unter Hitler und Stalin, Gerlingen 1988.
  • Ulrich Lins, Die Esperanto-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. Zum 100. Todestag von L.L. Zamenhof, in: Bibliotheksmagazin 12.2 (2017), S. 82–88.
  • Utho Maier, Karl Heinz Schaeffer, Deutsche Esperanto-Bibliothek Aalen. 19 Jahre im neuen Zuhause Aalen – Beschreibung in Rückblick und Ausblick, Aalen 2008.
  • Verzeichnis der Königl. Sächs. Esperanto-Bücherei, Dresden 1918.

Weblinks

GND-Normdaten

Einzelnachweise

  1. Vgl. dazu ausführlicher Lins, Die gefährliche Sprache.
  2. Zit. nach: Lins, Die gefährliche Sprache, S. 95.
  3. Zit. nach: Lins, Die gefährliche Sprache, S. 104.
  4. Vgl. dazu ausführlicher Deutsches Esperanto-Institut. Aufbau, Entwicklung, Leistungen, S. 26.
  5. Für einen Überblick über die vorhandenen Bücher im Jahr 1918 vgl. Verzeichnis der Königl. Sächs. Esperanto-Bücherei.
  6. Vgl. Verzeichnis der Königl. Sächs. Esperanto-Bücherei, S. I-II.
  7. Zitiert nach: Jahresbericht der Preußischen Staatsbibliothek 1936, Berlin u.a. 1937, S. 21. Die deutsche Esperanto-Bibliothek Aalen beziffert die an die Preußische Staatsbibliothek übergebene Sammlung mit 3000 bibliographischen Einheiten: http://www.esperanto-bibliothek.gmxhome.de/2003/bestand2.htm [Stand: Mai 2018].
  8. Vgl. dazu auch Cornelia Briel, Beschlagnahmt, erpresst, erbeutet. NS-Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek zwischen 1933 und 1945, Berlin 2013. [v.a. S. 235].